Es kann nicht oft genug betont werden: Ein Hund ist kein Spielzeug oder Kuscheltier, welches nur dann beachtet werden muss, wenn die Menschen, die ihn „besitzen“, Lust darauf haben. Vielmehr handelt es sich um ein Lebewesen, das Zeit, Geduld und Geld erfordert. Am besten muss allerdings überlegt werden, ob man die Zeit und Geduld für einen Straßenhund aus dem Tierschutz aufbringen kann. Diese armen Kreaturen haben es in ihrer Heimat nicht leicht. Sie leben auf der Straße, sind mit dem Menschen höchstens als Angstfaktor vertraut und kennen keine Liebe und Zuneigung, kein Vertrauen, aber auch keinen Tierarzt oder einen Futternapf mit regelmäßigem Essen. Sie leben, weil die Natur es ihnen gebietet. Unkontrolliert bekommen sie Nachwuchs, der wiederum ein Leben abseits des Hundelebens führt, wie wir es hier in Deutschland kennen. Vielmehr ist es ein täglicher Kampf um das nackte Überleben. Der Mensch ist ihnen bekannt als jemand, der ihm einen Holzscheit oder sonstige Gegenstände hinterher wirft, um sie zu vertreiben – oder als Hundefänger, der in vielen Ländern die Aufgabe hat, den Bestand an Straßenhunden zu dezimieren. Was ein solcher Straßenhund erlebt hat, bevor er in dem anstrengenden Transport nach Deutschland landet, möchte man oft gar nicht wissen. Diese Hunde sind nicht sozialisiert, haben keine Erziehung, kennen Nahrungsaufnahme meist nur aus Mülltonnen und Straßenecken, haben es mit Krankheiten und Parasiten zu tun.
Wer sich einen Straßenhund, zum Beispiel aus Griechenland oder Rumänien, nach Hause holt, hat eine riesige Aufgabe vor sich, um den Hund zu einem selbstbewussten aber nicht aggressiven, vertrauensvollen und letztendlich glücklichen Tier zu machen. Die Schutzgebühr, die man an die Tierschutzorganisation zu zahlen hat, ist nur ein wirklich kleiner finanzieller Aspekt, der auf den neuen Besitzer zukommt. Ausstattung und futter muss jeder Hundehalter bezahlen – doch Tierarzt und Hundeschule könnten deutlich mehr Geld verschlingen, als es zum Beispiel bei einem Hund aus einem deutschen Tierheim oder von einem Züchter der Fall wäre. Dessen muss man sich ganz klar bewusst sein. Besteht auch nur der geringste Zweifel, dass man finanziell oder zeitlich die Aufgabe mit einem Straßenhund nicht schafft, sollte man die Finger von diesem Plan lassen. Immerhin hat der Hund eine mehr oder weniger lange Leidensgeschichte hinter sich, die er zeitgleich mit den neuen Erfahrungen beim neuen Besitzer verarbeiten muss. Scheitert das Projekt, ist der Schaden beim Tier noch höher, als ohnehin – er wird im Tierheim landen, vielleicht sogar als lebenslänglicher Fall oder lebender Bumerang, der nach wenigen Wochen von seinen Interessenten wieder zurückgebracht wird, weil man mit dem verstörten Tier nicht klar kommt.
Wie alle Hunde haben auch Straßenhunde einen eigenen Charakter, der wahrscheinlich gut ausgeprägt ist, denn sonst wäre das Überleben im Elend kaum möglich. Der Umbruch in einem solchen Hundeleben geht binnen Wochen über die Bühne: Gestern noch auf der Straße, heute in der Tötungsstation. Von dort gerettet in eine Übergangsunterkunft. Hier lernen die Tiere Tierarzt, Fressen aus dem Napf und das erste Mal etwas wie Zuneigung kennen. Alles ist fremd, neu und angsterregend. Da die im Ausland tätigen Tierschutzorganisationen weder Geld noch Platz haben, müssen die Transporte nach Deutschland schnell stattfinden. Hier kommen die Straßenhunde, sofern nicht aus dem Ausland heraus bereits vermittelt, wieder in Pflegestellen. Bis der endgültige Besitzer kommt, um ihn abzuholen, hat die Hundeseele schon sehr viel zu verdauen. Ab nun sollte also alles möglichst perfekt verlaufen, damit die Narben auf der Seele (und vielleicht auch am Körper) erst einmal verheilen können, bevor der schöne Rest des Lebens beginnt.
Erster Weg mit dem Straßenhund: Tierarzt!
Natürlich geben die Tierschützer alles, um den geretteten Hund so gesund wie möglich ins neue Heimatland zu bringen. Er wird entwurmt und nach Möglichkeit von Parasiten befreit; Verletzungen werden behandelt, bereits jetzt diagnostizierte Erkrankungen werden behandelt. Ob dies in der Kürze der Zeit ausreichend ist, bleibt fraglich. Deswegen muss, sobald feststeht, dass ein Straßenhund als neues Familienmitglied kommt, ein zeitnaher Termin zu dessen Einzug beim Tierarzt vereinbart werden. Gerade, wenn vielleicht noch andere Tiere im Haushalt leben, möchte man hier ja nichts riskieren. Leider kommen bereits zu diesem Zeitpunkt andere Erkrankungen zutage, von denen man durch die wenigen Diagnostik-Möglichkeiten im Ausgangsland nichts ahnen konnte. Schlecht verheilte Knochenbrüche und Bisswunden, Zahnschäden und Verdauungsprobleme machen sich nicht selten in den ersten Stunden beim neuen Besitzer bemerkbar. Hier kommt man ohne einen Tierarzt nicht weiter – die Erkrankungen oder einen (Darm-)Parasitenbefall weiter zu verschleppen, ist nicht gut. Eventuell schadhaftes oder struppiges Fell bei den Hunden – sofern nicht aus hygienischen Gründen sogar zurückgeschnitten, kann körperliche Ursachen haben, die es zu bekämpfen gilt. Stammen Haut- und Fellprobleme vom bisher konsumierten „Futter“, wird sich dies bald legen.
Straßenhunde haben keine feinen Manieren
Absolut selten werden Straßenhunde hierzulande eintreffen und zu diesem Zeitpunkt schon stubenrein oder zu einem manierlichen Fressverhalten erzogen sein. Je älter ein Hund bereits ist, umso länger hatte er keine Möglichkeit, stubenrein zu werden. Das anzulernen, erfordert also zunehmend Geduld. Hier hilft nur Konsequenz im Training, genügend Auslauf und die Belohnung eines jeden noch so kleinen Erfolges. Futterneid, Abneigung gegen bislang unbekannte Futtermittel, Schlingen – die Liste der Unarten könnte noch weiter fortgeführt werden. Parallel dazu könnten sich Unverträglichkeiten zeigen, die eine Ernährung weiter verkomplizieren. Auch hier weiß gegebenenfalls ein Tierarzt Rat; gegen das Schlingen gibt es Hilfsmittel aus dem Zoohandel, zum Beispiel Futternäpfe mit eingebauten Hindernissen, damit der Hund sich etwas anstrengen und gedulden muss, um an den nächsten Happen zu kommen. Bei manchen ehemaligen Straßenhunden lassen der Futterneid und die Gier von selbst nach, wenn sie feststellen, es gibt regelmäßig Futter, UND Leckerli gibt - ganz von selbst und ohne, dass sie dafür Mülltonnen durchforsten oder stehlen müssen. Leider werden auch einige Ausnahmen zu beklagen sein, die die Angst zu verhungern niemals wirklich loswerden. Haben Sie mehrere Hunde? Füttern Sie Ihren besonderen Zuwachs separat, ohne dass er von anderen Tieren behelligt wird. Füttern Sie vor allem am Anfang mehrere kleine Portionen, um Unverträglichkeiten festzustellen und kein „Überfressen“ zu provozieren. Ein geeignetes Futterprodukt findet sich schnell – sind Sie unsicher, fangen Sie mit einem Single-Protein Futter an, in welchem kein Getreide enthalten ist und wählen auch die Zufütter-Mittel (Leckerli und Belohnungen) mit Bedacht aus.
Vertrauen schaffen – ohne Druck
Sie werden einen Straßenhund für den Moment immer so nehmen, wie er ist. Je nach Erfahrungen des Hundes, seinem Charakter und seinem Zustand beim Einzug kann es Wochen dauern, bis er das erste Mal zu Ihnen kommt, um von selbst Ihre Nähe zu suchen. Lassen Sie dem Tier den Freiraum, zwingen Sie ihn zu nichts! Zeigen Sie ihm aber auch konsequent – Hey, ich bin für dich da, ich hab dich lieb, du gehörst jetzt zu mir. Seien Sie konsequent in der Durchsetzung der alltäglichen Pflichten: Halsband oder Geschirr anlegen, an der Leine Gassi gehen, unter Umständen einen Maulkorb tragen: Hier dürfen keine Erziehungslücken entstehen. Mit viel Lob und Belohnung wird der Hund dies akzeptieren – irgendwann merkt er sich, dass davon keine Gefahr ausgeht und die meisten Sachen davon sogar Spaß machen. Sprechen Sie oft und viel mit dem Hund, dass er Ihre Stimme kennenlernt und seinen Namen und Kommandos versteht. In dieser Zeit lernt Ihr neuer Liebling auch, Lob von Tadel zu unterscheiden. Ohne Ausnahme gilt – eigentlich selbstverständlich: Schlagen, Wegsperren und anderweitig züchtigen ist tabu! Hundetrainer helfen bei schwierigen Situationen und geben auch Tipps zur artgerechten Sozialisierung des Hundes – in der Familie, gegenüber anderen Hunden und so weiter. Wohlverhalten im Sinne vom beiderseits respektvollen Zusammenleben muss erarbeitet werden. Ein toller, dankbarer Hund wird die Belohnung sein, aber eben nur selten ohne fleißiges, sanftes und geduldiges Zutun des neuen Besitzers!